Vertrieb & Verkauf und die akademische Ausbildung
Warum Vertrieb & Verkauf und die akademische Ausbildung ein zwiespältiges Verhältnis sein können!
Landläufig sagt man, der Vertrieb ist die einzige berufliche Schiene, wo man auch ohne akademischen Abschluss in eine höhere Managementposition gelangen kann. Und definitiv gibt es eine Vielzahl an bekannten Karrieren bis in die Vorstandsebene, die das bestätigen: ja, im Vertrieb kann man glänzen, selbst wenn man nichts studiert hat. Der vertriebliche Erfolg lässt sich offenbar auch „ohne akademische Fachkompetenz“ erreichen, was dann zur Folge hat, dass man in vielen Fällen die Karriereleiter emporsteigt.
Ohne akademische Fachkompetenz soll aber keineswegs auf einen Kompetenzmangel an sich hinweisen. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass ein Vertriebsleiter oder Vertriebsvorstand auch ohne einen universitären Abschluss sehr viel Kompetenz mitnehmen muss, um in so eine verantwortungsvolle Position zu gelangen. Nur ist diese Kompetenz nicht unbedingt akademisch… Eher würde ich hier ein profundes Praxiswissen, eine – durch Trainings oder durchs Leben – geschulte Persönlichkeit, ins tägliche Bewusstsein geholte zwischenmenschliche Erfahrungen auf die Liste der Must-Haves setzen.
Aber wie sieht es denn mit den Möglichkeiten einer akademischen Ausbildung für den Vertrieb aus?
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Anbietern, die Studiengänge mit Vertriebsfokus (häufig verbunden mit Marketing) im Portfolio haben. Im deutschen Sprachraum haben im Wesentlichen die Fachhochschulen das Thema besetzt, das klassische Universitätsumfeld begnügt sich mit der Disziplin Wirtschaftswissenschaft, Betriebswirtschaftslehre – Vertrieb als unternehmerische Kerndisziplin wird in der Regel gar nicht angeboten. Und Fakt ist zudem: Eine gewisse kollektive Geringschätzung in der Welt der Forschung und Wissenschaft erfahren die Vertreter der Wirtschaftswissenschaft über weite Strecken – in einer Welt der empirischen Beweisbarkeit landen Arbeiten über Wirtschaft zumeist in der Ecke von Theorien, Konzepten etc…
Und wie sieht es mit den FH-Studiengängen aus? Die Urform der wirtschaftlichen Ausbildung mit Vertriebsbezug ist die MBA – der „Master of Business Administration“, diese war vor 30 Jahren eine Vorzeigeausbildung und ein Passierschein für mehr Verantwortung in Unternehmen. Die Wurzeln der heutigen Studiengänge liegen grundsätzlich in der MBA – doch, was sagt uns denn der genaue Titel? Master of Business ADMINISTRATION – selbst die hochwertigsten Ausbildungen konzentrieren sich auf die Vermittlung des Wissens darüber, wie man ein Geschäft bestmöglich ADMINISTRIERT. Wie man Märkte analysiert, wie man Auswertungen macht und liest, wie man KPIs interpretiert, wie man Bilanzen liest, erstellt (und fälscht) – oja, das alles ist extrem wichtig für eine Leitungsaufgabe im Vertrieb. Dennoch bleibt die breite Blumenwiese des Verkaufens, die hohe Kunst der zwischenmenschlichen Beziehung – sei es im Verkaufs- oder im Führungskontakt – unterrepräsentiert oder gänzlich weggelassen. Meines Erachtens sind aber genau diese Eigenschaften die ursächlichsten für den Vertriebserfolg, alles andere kommt erst danach.
Zuletzt formulierte Rolf Dobelli, gefeierter Sachbuchautor aus der Schweiz und Studienabbrecher der BWL so: „Die beiden wichtigsten Einheiten der Betriebswirtschaftslehre lernt man nur im Job und der Praxis, nicht durch das Lesen von Skripten an der Uni: Menschenführung und Vertrieb!“ Er spricht mir aus der Seele. Dobelli hat seinen Abschluss in Philosophie gemacht und hatte eine steile Managementkarriere bei SWISSAIR. Dass er damit sagen will, ein Wirtschafts-Abschluss ist wertlos, wie ihn manche verstehen wollen? Mitnichten! Das Gegenteil ist der Fall. Jeder Abschluss und jede Fortbildung ist wertvoll und steigert das Kapital, das man für den Karriereweg mitnimmt.
ABER: ein Abschluss in Wirtschaft, Sales, Marketing etc. ist gerade im Vertriebsfokus erst der Grundstein für den Vertriebs- und Führungserfolg. Dieser Grundstein wird durchs Leben und durch eine stark selbstreflektierte Einstellung geschliffen.
Autor Mag. Gergely Hernady – Gründer, Geschäftsführer und Leitung Recruiting bei der Menschen im Vertrieb Beratungsgesellschaft mbH
In diesem Artikel wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei jedoch ausdrücklich mitgemeint.